Kondolenzratgeber

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I.13 Tod durch Suizid

Liebe Martina, lieber Jürgen,
der Freitod Eures einzigen Sohnes Kevin hat bei Euch einen tiefen Schockzustand und eine kaum zu bewältigende Lebenskrise ausgelöst. Auch ich bin äußerst betroffen, erschrocken, ja geradezu entsetzt und frage mich mit Euch zusammen, welche Ursachen für Kevins Verzweiflungstat den Ausschlag gegeben haben. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich an einen Selbstmord aus Verzweiflung glauben. Äußere unüberwindliche Schwierigkeiten kommen als Gründe kaum in Betracht. Kevin hatte weder schulische noch finanzielle Probleme; auch familiäre Disharmonien, die totale Hoffnungslosigkeit auslösen können, sind ganz klar auszuschließen.

Kevin war ein ganz und gar introvertierter Typ, er tat sich schwer, sich irgendeinem Menschen anzuvertrauen. Aus seinem Abschiedsbrief wissen wir, dass er sich allein durch seine psychische Disposition leiten ließ. Eine tief in ihm herrschende Persönlichkeitskrise, seine Schwermut, seine Hilflosigkeit gegenüber einem für ihn sinnlosen, von immer hektischerer Aktivität geprägten Leben, der Widerspruch zwischen "a ußen" und "innen" und vor allem eine in seinem Gemüt verankerte Todessehnsucht werden ihn getrieben haben. Ich glaube, er hielt sein Leben für hohl und leer, und er konnte und wollte es nicht länger ertragen, es nicht mit Sinn füllen zu können. Erfüllten Frieden mit sich selbst zu schließen, schien ihm nur in einer anderen Welt möglich.

Kevin hat Euren Schmerz im Voraus bedacht, wie aus seiner schriftlichen Entschuldigung klar hervor geht. Er hat Euch um Verzeihung gebeten für das, was er Euch antun musste. Bitte, schließt Frieden mit Eurem Sohn und mit Euch selbst, damit er seinen ersehnten Frieden finden kann.

Euer Dietrich
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Wenn alles ist verloren,
Hoffnung bleibet nicht,
So ist das Leben Schmach,
der Tod die letzte Pflicht.
Voltaire